Dec 13 2008

»Banken sind nicht naiv« (Tageszeitung)

Tageszeitung,

Wolfgang Müller

Rosa Schweinchen über dem Parlament: Wie wirkt die Finanzkrise in Island? Ein Gespräch mit dem Aktivisten Melli. Melli, bürgerlich Hrafnkell Brynjarsson, ist ein junger isländischer Autor und Schriftsteller Die isländische Krone gehört zu den kleinsten Währungen der Welt, für 320000 Mensche…

WM: Durch Punk und seine Folgen wurde Island seit den 80ern erstmals im Ausland nicht nur als Fischereination wahrgenommen, sondern auch als Ort innovativer Popmusik, Literatur und moderner Kunst. Konnten Sie als Isländer von diesem neuen Image profitieren?

M: Noch nicht. Mein erstes Buch wird erst 2011 im Martin Schmitz Verlag erscheinen.

WM: Die isländische Krone ist die kleinste Währung der Welt, eine für 320.000 Menschen. Ist sie auch so etwas wie ein Symbol nationaler Unabhängigkeit?

M: Wenn Geld ein Symbol der Unabhängigkeit oder Nationalität wäre, dann bestimmt. Der Fisch, der auf die isländischen Münzen geprägt ist, schwimmt in vielen Gewässern. Auch außerhalb der 200 Meilen Grenze. Die Isländer, mit denen ich gesprochen habe, sehen die isländische Währung als Instrument der Regierung, um die Kaufkraft der Arbeiter zu schwächen. Jedes Mal, nachdem die Gewerkschaft Lohnerhöhungen durchgesetzt hat, wurde einfach der Wert der Krone neu festgesetzt.

WM: Innerhalb von kürzester Zeit hat sich der Wert der Krone gegenüber dem Euro um 75 % verringert. Was bedeutet das?

M: Es bedeutet, dass es sich lohnt, aus Island zu exportieren. Für Exportwaren bekommt man jetzt viele isländische Kronen. Nach Island importierte Waren werden dagegen sehr teuer. Würde ich in Island wohnen, könnte ich jetzt meine Möbel und Wertgegenstände lukrativ nach Finnland verkaufen. Keine Frage, dass ich das täte. Autohändler machen jetzt viel Geld mit dem Export von Autos aus Island. Andererseits bedeutet diese Entwicklung aber auch, dass Herr Grímsson, der Präsident von Island, sein am 29. Oktober geplantes Frühstück im Berliner Hotel Adlon mit prominenten Businessmanagern kurzfristig absagen musste. Eigentlich wollte er ja über den riesigen Erfolg isländischer Investitionen im Ausland sprechen.

WM: Stattdessen taucht Island auf einer Terrorliste auf…..

M: Nun, das britische Innenministerium stellte kürzlich die erste große isländische Pleitebank, die Landsbankinn, auf ihre Terrorliste. In einer Gesellschaft neben Al Kaeda, Nordkorea, Iran, Hisbollah und anderen. Nun, Banken sind ja keine Wohlfahrtsinstitute, die gegründet wurden, um Menschenrechte durchzusetzen, sondern um Profitsteigerungen zu erzielen, – gern auch mit Hilfe der Rüstungsindustrie und zweifelhaften Staaten. Der Fehler des englischen Ministeriums war vielleicht, die Deutsche Bank, die Bank of England, den IMF und eine Menge anderer auf der Liste zu vergessen.

WM: Angeblich wollen nun junge Isländer massenhaft ins Ausland auswandern.

M: Ich hörte von 70.000, also 20 bis 25 % der Nation. Das müsste doch deutsche Autoritäten wie beispielsweise Ministerpräsident Koch, die immer vor einer Fremdenflut und Ausländern warnen, schwer beunruhigen oder? Wenn die Isländer nun plötzlich alle nach Deutschland kommen und arbeiten wollen? Vermutlich können diese Ängste aber nur mobilisiert werden, wenn Menschen aus Afrika, Asien oder der arabischen Welt kommen.

WM: Der deutsch-isländische Autor Kristof Magnússon sprach in der „Financial Times” von der „Einfaltsinsel”. Kürzlich meinte der Berliner Maler Bernd Koberling, die Isländer hätten früher Holzhaufen angezündet, um gestrandete Schiffe auszuplündern, das sei altes Wikingerblut. Welche der beiden Darstellungen trifft deiner Ansicht nach eher zu?

M: Naivität, ob in Form von Einfalt oder Draufgängertum suggeriert ja immer eine Art Unschuld. Diese würde ich weder den isländischen Geschäftsleuten, noch den Banken und Unternehmen zubilligen. Auch in keinem anderen Land. Diese Leute folgen überall der gleichen Logik, wenn es ums Geschäft geht. Sie wollen Geld, nehmen Risiken auf sich, möglichst mit öffentlichem Geld, profitieren hemmungslos und verunsichern die Öffentlichkeit, wenn es dann nicht so läuft wie geplant. Sie sind nicht naiv oder einfältig. Auch nicht in Island.

WM: In den Medien wird von großen Demonstrationen berichtet. Wird Island das erste antikapitalistische Land des Westens nach dem Ende des Kalten Krieges?

M: Seit September findet neben vielen dezentralen Aktionen auch wöchentlich eine große Demonstration gegen die Regierung statt. Am vorletzten Montag brachen die Demonstranten die Tür der Nationalbank auf. Sie forderten den Rücktritt der Regierung und des Bankvorsitzenden David Oddson. Dieser war übrigens vorher Premierminister und hat als solcher die extreme Privatisierungen, darunter die Privatisierung aller Banken, mitzuverantworten.
Ob aber Island nun auf dem Weg zum Anti-Kapitalismus ist? Naja, ich denke nicht. Es gibt im Moment auch viele, die von der Krise profitieren. Vielleicht sind das andere, als die, die vor der Krise profitiert haben.

WM: Die Krisengewinnler?

M: Ja, Sie, zum Beispiel. Sie haben inzwischen insgesamt über dreihundert Euro für Interviews über den Niedergang der isländischen Ökonomie verdient oder?

WM: Das ist wahr. Vorher bekam ich nie Geld dafür. Also, wenn ich über Elfen, Zwerge und Transvestiten auf Island redete, war das eigentlich immer gratis. Die Medien meinten, das sei kostenlose Werbung für mich, also für meine Bücher und Platten über Island. Und nun bieten sie mir erstmals Geld, damit ich mit ihnen im Radio über die isländische Finanzkrise rede.

M: Was oft übersehen wird, ist, dass die Proteste älter sind, als die Finanzkrise oder die Popularisierung Islands durch Björk. Die gegenwärtigen Proteste entspringen den Aktionen der radikal antikapitalistischen Umweltgruppe „Saving Iceland”. Die ist schon länger aktiv.
Saving Iceland kämpfte bereits gegen das Staudammprojekt der Alcoa, Rio Tinto, Century und Alcan-Konzerne. Und gegen die offizielle Linie des Staates, der die Interessen der Großkonzerne bedingungslos unterstützt hat. Es gab da bereits Formen des Widerstands, die für Island neu waren. Die Dauerproteste, die von Saving Iceland initiiert wurden, wirkten zusammen mit “direkten Aktionen”. So gab es eine “Lärm Demo” vor Polizeistationen, um sich mit verhafteten DemonstrantInnen zu solidarisieren. Haukur Hilmarsson riss kürzlich die isländische Flagge vom Dach des Parlamentes und ersetzte sie durch die Flagge der Supermarktkette Bonus: ein großes rosa Comic-Schweinchen. Als dieser Haukur festgenommen und für zwei Wochen inhaftiert wurde, versammelten sich fünfhundert Bürger, meist ganz normale Familien, vor der zentralen Polizeistation und forderten nachdrücklich seine Freilassung. Bedingungslos. Mit Erfolg. Fünfhundert Menschen gingen ins Gefängnis und fünfhundereins kamen wieder heraus.

WM: Von Island lernen, heißt Siegen lernen.

M: Natürlich. Stell dir vor, jemand würde die deutsche Flagge vom Reichstagsgebäude entfernen und durch die Flagge der Deutschen Bank ersetzen. Ein Riesenskandal oder? Also, ich meine, Saving Iceland zeigt den Isländern neue Demonstrationsformen. Sie offenbaren die Bedeutung und die Kraft der Symbole und damit der symbolischen Ordnung.

WM: Im Jahr 1809 – damals war Island eine Kolonie von Dänemark – wurde der dänische Statthalter für Island eine Woche auf seinem Schiff eingesperrt. Die isländische Revolution: Ein Däne namens Jörgen Jörgensen erklärte sich zum ersten König von Island. Später flüchtete Jörgensen nach Tasmanien und wurde dort Polizeichef. Könnte sich so etwas nun wiederholen?

M: In gewisser Weise. Einige wohlhabende Isländer sind gerade nach London oder New York geflüchtet.
Im Jahr 1819 war Jörgensen nur zehn Tage an der Macht. Das war genau die Zeit, die ein Dutzend dänische Soldaten brauchten, um nach Island zu reisen, um den Statthalter zu befreien. Aber es ist schon eigenartig: Während und nach den Demonstrationen in Island, wurden komischerweise ein paar dänische Schiffe und Hubschrauber um die Insel stationiert…

WM: In internet-Blogs beklagen Isländer die Gleichschaltung ihrer Presse.

M: Ja, das stimmt. Fast alle Medien folgen der selben Linie: Sie sind völlig unkritisch, im neoliberalem Mainstream. Medienleute beklagen, dass sie ihre Jobs verlieren würden, wenn sie nicht auf Linie schreiben. Das heißt, die Selbstzensur regiert. Außerdem wissen die meisten Journalisten gar nicht, worum es bei den Demonstrationen geht.

WM: Was meinen Sie?

M: Eine große Tageszeitung, DV hat sich neulich gewundert, warum Saving Iceland Aktivsten auf einer Demonstration zur Unterstützung von Asylbewerbern auftauchten. Er dachte, sie seien auf der falschen Demo gelandet. Die isländischen Journalisten können sich einfach nicht vorstellen, dass der Kampf für soziale Gerechtigkeit nicht zu trennen ist, vom Engagement gegen Umweltverschmutzung und der Infragestellung des Kapitalismus. Es geht nicht nur um Alcoas Industrieprojekte in Island, sondern auch um Sexismus, die Situation der Flüchtlinge auf der Welt und natürlich auch um die Räumungsdrohung gegen den Schwarzen Kanal in Berlin. Alles hängt miteinander zusammen. Der Kampf um soziale Gerechtigkeit findet offensichtlich auf der Straße statt. Deshalb hat mich gefreut, dass die isländischen Bürger derzeit sogar Demonstranten aus dem Gefängnis befreien. Das ist doch ziemlich extrem oder?

Mehr Informationen in Netzzeitungen unter:
http://www.this.is/Nei und http://www.Aftaka.rusl.org

Náttúruvaktin